Das Rad kann nicht neu erfunden werden, aber alles drum herum – Radaufhängung, Achse, Antrieb, Karosserie. Man muss das jeweilige Thema nur aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Für Unternehmen und die schöne neue Arbeitswelt gilt das gleiche: In einer multilateralen Welt ist man gut beraten, wenn man nicht nur aus einer Perspektive das eigene Unternehmen betrachtet, sondern sich auch immer wieder einen Spiegel vorhält. Nur so lassen sich implizierte Tendenzen und Gefahren eines Denkens, einer Unternehmenskultur, einer Vision erkennen – wenn man denn eine echte Kultur im Unternehmen pflegt oder eine ernsthafte Vision hat, in der es nicht primär um Profite und Umsatzsteigerung geht.
Nichts bewahrt uns so gründlich vor Illusionen, wie ein Blick in den Spiegel.
Aldous Huxley in „Schöne Neue Welt“
Leider sind diese Spiegel in vielen Unternehmen abhandengekommen oder wurden bewusst verhangen. Kann man machen, das führt aber zu allerhand abstrusen Ansichten: Das kann zum einen sein, dass man sein Unternehmen und die eigene Führungskultur für perfekt hält, oder zum anderen, dass man denkt, digitale Transformation hat einen Anfang und ein Ende. Beides unterliegt der fatalen Fehlansicht, dass Veränderung einen Höhepunkt erreichen kann und dann zu Ende ist. Die Welt verändert sich jedoch stetig weiter und das auch noch immer schneller. Betrachtet man diese Veränderungen unvorbereitet und unreflektiert, führt das zu kritischen Ambivalenzentscheidungen. Digitale Transformation ist damit eigentlich überholt, digitale Evolution ist hingegen ein erfolgversprechenderer Ansatz – denn es gibt keinen Anfang und kein Ende. Es gibt eigentlich auch keinen absolut richtigen Zeitpunkt, diese zu realisieren. Manchmal bekommen Unternehmen jedoch den richtigen Zeitpunkt (für den Blick in den Spiegel) geschenkt. Und so einen Zeitpunkt bescherte die COVID-19-Pandemie den Unternehmen weltweit. Eine unausweichliche Messlatte, eine ungewollte Prüfung, ob die geschaffene schöne neue Arbeitswelt der Unternehmen nur eine Illusion ist oder wirklich den Ansprüchen der Zukunft gerecht werden – hat man also versucht das Rad neu zu erfinden oder hat man weitergedacht?
The same old thinking and the same old results
Es gibt Unternehmen, und vielleicht gehört Ihres dazu, welche mit viel Energie und teils hohem finanziellen Aufwand Arbeitswelten umgestaltet und Kreativräume geschaffen haben, die tolle Lichtwelten installiert und Räume mit allerhand technischen Spielereien ausgestattet haben, die man als state-of-the-art bezeichnet. Der Alltag danach geht aber dennoch unverändert weiter: In den Kreativräumen werden die gleichen zeitfressenden und resultatlosen Meetings wie vorher abgehalten, die angeschaffte Technik nicht von allen oder niemanden genutzt – in Summe ist nur die Fassade bunter geworden. Hat jemand in diesen Fällen an die Menschen gedacht? Der Kickertisch im Pausenraum und der Kühlschrank voller Club Mate spielen zudem keine Rolle, wenn die Mehrheit der Belegschaft das Office in die eigenen vier Wände verlegt hat. Stattdessen beschäftigen uns jetzt andere Themen wie die Umsetzung von Teamführung in Zeiten von Homeoffice oder – wenn der Spiegel aufgehangen wurde – auch die Bedeutung von Firmenkultur nach dem Ende der aktuellen Ausnahmesituation. Gerade die Anleitung eines Teams, das nicht mehr tagtäglich physische Präsenz zeigt, stellt eine Herausforderung dar, der sich viele Unternehmen und ihre Führungskräfte in dieser Ausprägung so noch nicht stellen mussten und allzu oft diese Möglichkeit auch gar nicht in Betracht ziehen wollten. Aber erst hier zeigt sich, wie erfolgreich digitale Evolution verstanden wurde, ob eine Unternehmenskultur stark genug ist, um Zusammenhalt zu gewähren und ob eine Vision wirklich sinnstiftend und richtungsweisend ist.
Erkennen ist kein Zu-Ende- Kennen
Einen echten Vorteil haben hier diejenigen Unternehmen, die bereits vor der Krise auf eine gute und funktionierende Führungskultur bauen konnten. Unternehmen die mutig genug waren, zu hinterfragen und für sich selbst zu definieren, WARUM sie eigentlich existieren, was der wirkliche Mehrwert für die Gesellschaft ist. In Unternehmen, die sich lediglich auf das WAS und WIE konzentrierten, funktionierte die Führung auch in der „alten Normalität“ nicht oder nur unzureichend, und so wird es in der jetzigen Extremsituation natürlich umso schwieriger bis gar unmöglich weiterzumachen. Arbeitsprozesse, die bereits vorher kaum praktikabel waren, werden sicher nicht besser, wenn man sie einfach nur digitalisiert – ein Fehler des klassischen Anfang- Ende-Denkens. Zu erkennen, dass es um Menschen geht, die Unternehmen erfolgreich machen, und dass es eben nicht nur die Top-Manager sind, ist ein erster wichtiger Schritt. Top-Manager haben wohl nach der Krise ausgedient. Man sagt ihnen zwar viel Geschick für finanzielles Risikomanagement nach, aber selten das Gespür für moderne und transformationale Führung. Ein einfaches Austauschen und buntes Verzieren der Arbeitsräume kann daher, auch wenn man es noch so hip „New Work“ nennt, keine grundlegende positive Veränderung schaffen. In Homeoffice-Zeiten ist eine erste positive Veränderung das Loslassenkönnen. Hierzu gehört in erster Linie das Vertrauen in Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Arbeitsleistung im Homeoffice darunter leidet, dass diese an einem anderen Ort als dem Büro erbracht wird. Präsenz ist schließlich nicht gleichbedeutend mit Qualität – das gilt für alle, auch für Führungskräfte. Stellen Sie sich doch umgekehrt einfach einmal die Frage, ob die bloße Anwesenheit im New-Work- Office automatisch mit guter, verlässlicher Arbeit verbunden ist oder ob es eben doch nur ein Abarbeiten ist, was mit Fortschritt und innovativen Denken wenig gemein hat. In einer VUCA-Welt voller Volatilität, Ungewissheit, zunehmender Komplexität und Mehrdeutigkeit, in der disruptive Innovationen hinter jeder Tür lauern, sollten der mutige Wille nach Fortschritt und Innovation das Denkmuster aller Menschen in einem Unternehmen bestimmen. Denn Leistung entspricht in den seltensten Fällen den abgeleisteten Stunden. Es ist daher unabdingbar, nicht nur ein gewisses Maß an Verständnis für die veränderten Arbeitsumstände zu entwickeln, sondern aktiv die Gestaltung der wirklich schönen neuen Arbeitswelt mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern voranzutreiben. Für viele sind schon die technischen Voraussetzungen im Homeoffice ganz andere als am regulären Arbeitsort und auch die Tatsache, dass viele Ihrer Angestellten ihre Tätigkeit im Umfeld der Familie verrichten, sollten Sie keinesfalls außer Acht lassen. Hier ist Einfühlungsvermögen gefragt – das heißt Bedürfnisse zu verstehen und das ist keine Zahlen-Daten-Fakten-Sache.
Es geht um „I have a dream“, nicht um „I have a plan“…
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