Ist das Servicelevel reif für die Tonne?

Wenn eine Kennzahl den Blick auf die Realität verstellt

Ein heiliger Gral 

Als solchen scheint das ein oder andere Unternehmen die (quantitativen) Kennzahlen zu betrachten, wenn es um den eigenen Kundenservice geht. Ganz besonders tut sich hier schon seit geraumer Zeit das Servicelevel hervor, welches angibt, binnen welcher Zeitspanne eine bestimmte Anzahl der eingehenden Anfragen entgegengenommenen wurde.

Im telefonischen Kundenservice hat sich dabei über die Jahre ein Standard etabliert, welcher bei 80/20 liegt. Will heißen, dass 80 % aller eingehenden Anrufe von den Kundenberaterinnen und Kundenberatern innerhalb der ersten 20 Sekunden angenommen werden.  

Klingt erstmal gut. Immerhin ist es ja durchaus erstrebenswert, die eigene Kundschaft nicht in einer schier endlosen Warteschlange verhungern zu lassen. Egal, wie schön die begleitende Melodie auch sein mag. Der Teufel versteckt sich hier auch weniger im Detail, sondern eher im Extrem.  

Das Problem heißt Dogmatismus  

So hat ein Servicelevel von 80/20 (oder „besser“) mittlerweile eine derartige Bedeutung erreicht, dass es nahezu ohne kritisches Hinterfragen vorausgesetzt wird und andere Aspekte in ihrer Wertigkeit teilweise deutlich abfallen.  

Gerade wenn es um das Thema Outsourcing geht, werden in den Verträgen mit Dienstleistern oft bereits Vereinbarungen getroffen, welche speziell diese eine Kennzahl zum maßgeblichen Faktor machen und bei Nicht-Erreichen zum Teil gravierende, in aller Regel finanzielle Folgen nach sich ziehen.  

Solche Service-Level-Agreements sind mittlerweile gang und gäbe, doch tut man damit dem Dienstleister und speziell auch dem eigenen Unternehmen wirklich einen Gefallen? Oder hat der Druck, dem sich speziell der Dienstleister hier aussetzt, möglicherweise einen gänzlich anderen Effekt als gewünscht? 

Ein Beispiel   

Man stelle sich einmal vor, Unternehmen A liegt im Frühherbst des Jahres auf Grund der bisherigen Personalplanung bei einem Servicelevel von 65 %, bündelt dann alle seine verfügbaren Ressourcen und überspringt pünktlich zum Jahresende die magische Hürde von 80/20.  

Vereinbarung erfüllt, der Rubel rollt.  

Obwohl bis zum September etliche Kunden mehr als 10 Minuten auf eine Beraterin oder einen Berater warten mussten und einige von ihnen entnervt auflegten. Teils gar mehrfach. Und obwohl in der Hektik des Jahresendes die Gespräche kurz und deren Ergebnisse damit für die Anrufenden oft eher unbefriedigend waren.  

Unternehmen B plant anders. Die vorhandenen Ressourcen werden gleichmäßig über das Jahr so eingeplant, wie der erwartete Bedarf es voraussichtlich nötig macht, die Kundinnen und Kunden warten dafür zum Teil einige Sekunden länger auf die Annahme ihres Anrufs und am Ende Jahres steht ein Servicelevel von 79 %.  

Ziel verfehlt, ein Malus droht.  

Obwohl keiner der Anrufenden einen Grund zur Beschwerde gesehen und die breite Masse sich am Ende auch sehr gut beraten gefühlt hat.   

Wären Sie auch gerade lieber Kunde bei Unternehmen B? Dann sind wir uns einig. Kaufen kann sich unser Beispieldienstleister davon aber nichts, denn das Servicelevel lügt schließlich nicht.   

Klasse? Masse? Beides! 

Was das genannte Beispiel vor allem deutlich machen soll: Es ist sinnvoll und lohnenswert, sich bei der Betrachtung der eigenen Servicequalität nicht nur auf eine oder einige wenige Kennzahlen zu fokussieren, sondern immer das Große und Ganze im Blick zu behalten.   

Was nützen Ihnen denn das beste Servicelevel oder die beste Erreichbarkeit, wenn diese nur durch möglichst hastiges und rein pragmatisches Abarbeiten der eingehenden Anfragen erreicht wurden? So wird vielleicht ein größerer Teil ihrer Kundinnen und Kunden in kürzerer Zeit mehr oder minder „abgefertigt“, glücklicher sind diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jedoch nicht. Ein paar Sekunden längeren Ausharrens hätten sie mit Sicherheit gern in Kauf genommen, denn die umfängliche Klärung des eigenen Anliegens liegt ihnen schließlich am Herzen.  

Im Gegensatz hierzu ist es jedoch auch nicht sinnvoll, die Intensität der Beratung derart ausufern zu lassen, dass am Ende ein ausgewählter Teil der Anrufenden einen exzellenten Service genießen darf, während die breite Masse in einer hoffnungslos überfüllten Warteschlange gefühlt stundenlang auf einen Gesprächspartner oder eine Gesprächspartnerin wartet. Jedwede Geduld ist schließlich auch endlich. 

Genau hier liegt dann auch die große Herausforderung.  

Denn wird der Fokus zu sehr auf quantitative Aspekte gerichtet, so färbt dies irgendwann auf Kundenberaterinnen und Kundenberater ab. Gespräche werden kürzer, wichtige Inhalte gehen verloren, die Qualität der Gespräche sinkt.  

Richtet sich der Fokus aber nur auf Qualität, leiden Servicelevel, Erreichbarkeit und damit am Ende ebenfalls wieder die Kundinnen und Kunden des Auftraggebers sowie in letzter Konsequenz auch der Auftraggeber selbst.  

Nicht nur Schwarz und Weiß 

Die Wahrheit liegt also wie so oft in einer gesunden Mitte, einer gewissen Ausgewogenheit zwischen Klasse und Masse. Stellt man diese her, so ergibt sich für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation. Sowohl für das beauftragende Unternehmen, als auch den Dienstleister sowie alle Anrufenden. 

Und so lässt sich am Ende die diesen Artikel überschreibende Frage, ob das Servicelevel ausgedient hat, mit einem klaren Nein beantworten. 

Jedoch sollte man in seiner Betrachtung einfach etwas differenzierter sein. Es gibt, wie auch im ganz alltäglichen Leben, nicht immer nur Schwarz oder Weiß, sondern auch die Grauzonen dazwischen. Und diese sollten auch bei Absprachen zwischen Unternehmen und Dienstleistern sowie deren Betrachtung der eigenen Ziele eine wichtige Rolle spielen. 

Am Ende ist schließlich in aller Regel nicht die Frage entscheidend, ob 79 % oder 81 %. Es ist die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden, die zählt. 

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